Gesünder erziehen

Kinder gründlich und tief verstehen – und daraus ablesen, was Kinder wirklich brauchen, das ist die Grunddevise der Rudolf Steiner Schulen und der Rudolf Steiner Kindergärten.


Zu den erstaunlichsten Entdeckungen Steiners gehörte seine Einsicht, wie enorm wichtig die Ausreifung der Organe für die Entwicklung des Kindes ist. Die Organe verändern sich in den ersten Lebensjahren in ihren Feinstrukturen. Steiners Entdeckung war, dass dabei sämtliche Wahrnehmungen, die ein Kind macht, eine enorme Rolle spielen. Die Organe werden durch die Wahrnehmungen geprägt und diese Prägung bleibt dann mehr oder weniger ein Leben lang eine Grundlage: „Die physischen Organe des Kindes bilden sich ihre Formen durch die Einwirkung der physischen Umgebung. Es bildet sich ein gesundes Sehen aus, wenn man die richtigen Farben und Lichtverhältnisse in des Kindes Umgebung bringt, und es bilden sich in Gehirn und Blutumlauf die physischen Anlagen für einen gesunden moralischen Sinn, wenn das Kind Moralisches in seiner Umgebung sieht. Wenn vor dem siebenten Jahre das Kind nur törichte Handlungen in seiner Umgebung sieht, so nimmt das Gehirn solche Formen an, die es im späteren Leben auch zu Torheiten geeignet machen. Wie die Muskeln der Hand stark und kräftig werden, wenn sie die ihnen gemäße Arbeit verrichten, so wird das Gehirn und werden die anderen Organe des physischen Menschenleibes in die richtigen Bahnen gelenkt, wenn sie die richtigen Eindrücke von ihrer Umgebung erhalten.“ (Steiner, Die Erziehung des Kindes)

 

Die Kindergärten der Rudolf-Steiner- Schulen versuchen das zu berücksichtigen: Alles, was das Kind dort wahrnehmen kann, ist so angelegt, dass es einen möglichst günstigen Einfluss auf seine Organentwicklung hat, damit jedes Kind später so klug und so tüchtig wie es ihm möglich ist die Anforderungen des Lebens besteht.

In der Schule geht es dann unter anderem darum, möglichst möglichst viel von der Welt zu verstehen. Aber wie entwickelt man einen scharfen Intellekt? Die gewöhnliche Antwort lautet: Man muss den Intellekt so früh wie möglich trainieren. Aber wenn man die Natur der Verstandesentwicklung gründlich untersucht, kommt man zu einem anderen Ergebnis: Die Kräfte des Intellektes müssen erst in einer Art Plazenta reifen, um sich optimal entwickeln zu können. Jeder Landwirt weiß, dass von der Bodenqualität die Qualität der Ernte abhängt. Bodenoptimierung kommt vor Ernteerfolg. Das ist für die Verstandeskräfte nicht viel anders. Sie müssen auf dem richtigen Boden wachsen, um später gute Früchte tragen zu können. Was ist der richtige Boden für die Verstandeskräfte und wie optimiert man ihn? Die Gefühle. Sie sind die Plazenta für den sich entwickelnden Verstand. Das mag wundersam klingen, aber letztlich ist alles Verstehen immer eine Form von Einfühlen. Einer der größten Mathematiker der Geschichte, J.W. Leibniz (1646-1716), ging sogar so weit, zu sagen, dass man das erste Hebelgesetz der Mechanik eigentlich aus sich selbst heraus verstehen könne, wenn man sich in das Verhältnis von Lastarm und Kraftarm einfühle. Grundsätzlich hängt die Kraft des Verstandes ganz entscheidend von der Kraft des Einfühlungsvermögens ab. Die Förderung des Einfühlungsvermögens ist aus diesem Grund eine der wichtigsten Voraussetzungen für die optimale Entwicklung der Verstandeskräfte. Und umgekehrt: Die Vernachlässigung des Fühlens trocknet die Plazenta der Verstandeskräfte aus. Deshalb wird in den Steiner-Schulen versucht, dass alles Wissen, das man den Kindern im Grundschulalter vermittelt, möglichst stark das Einfühlungsvermögen aktiviert. Man lernt so nachhaltiger und kreativer.

Heute ist längst belegt, dass die Steiner-Schüler nicht nur gleich gute Prüfungsergebnisse erzielen wie die Schüler der staatlichen Schulen, sondern sehr viel mehr: 2013 publizierte das Robert-Koch-Institut in Berlin eine Studie, die zeigte, dass die ehemaligen Waldorfschüler im Alter von 20 bis 80 Jahren durchschnittlich signifikant gesünder sind als ehemalige Staatsschüler. Unabhängig vom Gesundheitsverhalten wie Sport, Ernährung, Rauchen und Alkoholkonsum und auch vom Bildungsstand des Elternhauses litten ehemalige WaldorfschülerInnen seltener an Arthrose (-30 %), Gelenkschmerzen (-40 %), Gleichgewichtsstörungen (-45 %), Rückenschmerzen (-20 %) Magen-Darm-Beschwerden (-20 %) und Schlafstörungen (-30%) sowie Heuschnupfen.[i]

Kinder gründlich und tief verstehen – und daraus ablesen, was Kinder wirklich brauchen, das ist die Grunddevise der Rudolf-Steiner-Schulen und der Rudolf-Steiner-Kindergärten. Und was Kinder wirklich brauchen, sind gesündere Organe und eine optimale Entwicklung ihrer Erkenntniskräfte.

 

 


[i] Fischer et al.: The Effect of attending Steiner Schools during child-hood on health in adulthood: A multicentre cross-sectional study. PLOS one, 2013, Vol. 8, Issue 9, e73135  

 

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